Erfahrungsbericht Lappland

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Finnland – zwischen „Winterwonderland“ und Implantaten

Ein unvergessliches Auslandspraktikum

Rovaniemi ist eine nordfinnische Stadt im Zentrum Lapplands, mit vielen schönen Wohnsiedlungen, welche umzäunt von Wäldern und abseits des Zentrums liegen. Restaurants, Bars, Hotels, Apartmenthäuser und zwei Einkaufspassagen bilden den Mittelpunkt der Stadt.


Vor einem Jahr begann meine erste längere Reise in den skandinavischen Norden.

Nach der Schule begann ich direkt mit der Ausbildung zur Zahntechnikerin. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich oft darüber nachgedacht, wie es wäre für einen längeren Zeitraum im Ausland Erfahrungen zu sammeln, doch wollte ich dafür nie meine schulische Laufbahn unterbrechen.

In der Berufsschule stellte sich eines Tages das ERASMUS+ Projekt von der Senatsverwaltung für Bildung Jugend und Familie vor. Sie berichteten von tollen Erfahrungen der Auszubildenden, die entweder während der Ausbildung oder direkt im Anschluss Europa bereisten. Man müsse nur mit der Geschäftsführung klären, ob es als Arbeitszeit zähle oder man sich so lange am Stück Urlaub nehmen dürfte. Da man allerdings während der Ausbildung ständig neue Arbeitsbereiche kennen lernt oder sich in Routine und Verbesserung übt, verwarf ich den Gedanken recht schnell.


Erst als die schriftlichen Abschlussprüfungen vorbei waren und man wieder mehr freie Zeit nach der Arbeit fand, kam der Gedanke auf, wie es nun weitergehen soll. Von Freunden und Bekannten hörte man wie wertvoll und prägend die Erfahrungen im Ausland waren, die sie in oder nach der Schulzeit sammelten, sodass ich mich selbst fragte, ob ich etwas verpasst hatte. Ich beschloss also nach der Ausbildung für einen Monat ins Ausland zu gehen. Viele Lehrlinge denken daran, nach bestandener Prüfung einen Monat Pause zu machen; doch wie kann man diese dennoch sinnvoll nutzen? Plötzlich kam mir das Förderprojekt wieder in den Sinn. Ich hatte etwas Sorge, mich zu spät um dieses Thema gekümmert zu haben, doch nach einigen kurzen Gesprächen und Emails, war es eine beschlossene Sache. Die Voraussetzungen waren neben guter schulischer Leistung, eine Mindestdauer von drei Wochen und die selbstständige Suche nach einem Praktikumsplatz. Ein Lehrer in der Berufsschule, der die Kontakte zu EU-Büro für das Projekt ERASMUS+ vermittelt, erzählte mir von seinem ehemaligen Schüler, der so wunderbare Erfahrungen in Finnland machte, dass er kurzer Hand dorthin ausgewandert ist. Selbstverständlich kann man sich auch wärmere Reiseziele in Europa suchen, doch fand ich die Idee, in ein Land zu fliegen, in welches man vielleicht sonst nicht gereist wäre, als aufregend und spannend. Die bestehenden Kontakte in ein Labor, das sogar von einem ausgewanderten Deutschen geleitet wurde, gab mir zusätzlich Sicherheit, zumal ich kein Wort finnisch konnte.

Je nachdem, wo man, wie lange hinreist, gibt es eine unterschiedlich hohe Vergütung für das Projekt, alle weiteren anstehenden Kosten muss man selbst übernehmen. Da ich dieses Vorhaben sehr spät in Angriff nahm, waren alle Jugendunterkünfte, die das Projekt normalerweise empfiehlt, belegt. Ein Hotel für einen ganzen Monat, war unbezahlbar und so machte ich mich auf die Suche über Privatanbieter. Als Couchsurfer wollte ich mir für die ersten Tage ein Sofa sichern und Vorort die Wohnlage sondieren. Ich hatte das Glück, dass ein Mädchen in meinem Alter, ihr Wohnzimmer für Reisende zur Verfügung stellte. Wir einigten uns schnell darauf, dass ich die Hälfte der Miet- und Nebenkosten zahle und dafür vier Wochen in zentraler Lage bei ihr genießen durfte.


Rovaniemi ist eine nordfinnische Stadt im Zentrum Lapplands, mit vielen schönen Wohnsiedlungen, welche umzäunt von Wäldern und abseits des Zentrums liegen. Restaurants, Bars, Hotels, Apartmenthäuser und zwei Einkaufspassagen bilden den Mittelpunkt der Stadt. Das Weihnachtsmanndorf, wofür Rovaniemi bekannt ist liegt 10 min vom Zentrum entfernt. Dort kann man den Weihnachtsmann treffen, Snowmobil-, Schneeschuh, Rentier- oder Huskytouren buchen und sich das ganze Jahr über von Weihnachten verzaubern lassen. Die Wohnsiedlungen erinnern an typische skandinavische Häuser und wirken wohlbehütet. Das Stadtzentrum ist architektonisch sehr simpel und blockartig wiedererbaut. Da während des Lapplandkrieges deutsche Truppen die gesamte Stadt nieder brannten. Kein Finne, den ich kennen gelernt habe, hatte Groll gegen Deutschland, sie verstanden diese Tat als Versehen, da das Feuer durch eine Explosion eines Munitionszuges der verbündeten Deutschen bei einer Kriegstaktik gegen die Sowjetunion, entstand.


Robert Adler, der Geschäftsführer von Design Dental Oy, holte mich netterweise von Flughafen ab und nahm mich fast jeden Morgen zur Arbeit mit. Obwohl ich das Labor fußläufig erreichen konnte, war es sehr angenehm den ersten Tag gemeinsam zu begehen. Erstaunlicherweise begegnete ich nur einer weiteren Mitarbeiterin, denn es handelte sich um einen Zwei-Personen-Betrieb. Sara war seit einigen Jahren in Finnland ausgelernt und arbeitete hauptsächlich an Modellgussprothesen und einigen Reparaturen. Robert befasste sich mit vielen Implantatarbeiten und führte mich in die CAD Software von 3Shape ein. Da wir in meinem Ausbildungsbetrieb mit Exocad arbeiten, kam mir dieser neue Einblick gelegen. Fräsen ließ er die Arbeiten in Fräszentren und wartete nur wenige Tage oder Wochen auf die Arbeiten, so dass er sich in der Zwischenzeit mit neuen Aufträgen befassen konnte. Es entstanden nie oder selten Probleme und falls doch eine mehrgliedrige Brücke brach, konnte er das Gerüst problemlos zurücksenden.

In den umliegenden Zahnarztpraxen, war Design Dental Oy ein angesehener Betrieb, was in den ersten Jahren nicht leicht zu erreichen war, als Zugezogener, erklärte mir Robert. Viele kleine Labore wurden in der letzten Zeit von einer großen Kette aufgekauft, es blieb wichtig, mit der Zeit zu gehen, um sich gegen die Konkurrenz behaupten zu können. Die ersten Tage nahm er mich mit auf seine Botenfahrten, zeigte mir die umliegenden Praxen und sein altes Labor. Dort stellte er mich als „Hammasteknikko“(=Zahntechniker) aus „Saksa“ (=Deutschland) vor.

Außerdem fuhren wir zum Busbahnhof. In Finnland kann man die Fernbusse als günstigere Alternative zur Post nutzen. Einige Arbeiten umgingen somit die Botenfahrt. Sogar aus dem Krankenhaus, auf der anderen Seite des Flusses, kamen Aufträge. Er selbst erledigte den größten Teil der Botentouren und nahm dabei oft die Zahnfarbe von Patienten Vorort.

Ich bekam eine kurze Einführung, wie die Modelle ausgegossen werden sollen und arbeitete zusätzlich an Implantatlöffeln, Wax-ups, Reparaturen und stellte Zähne auf. Ich durfte auf verschiedensten Phantomgerüsten Keramik schichten und lernte Neues dazu oder übte bereits Erlerntes. Ich bekam sogar einige Male die Gelegenheit bei Implantationen in der Zahnarztpraxis, eine Etage unter uns, zu zuschauen.

Wahrscheinlich kann man von Labor zu Labor auch innerhalb Deutschlands einige Unterschiede feststellen, von der Löffellänge bis zur Modellgröße oder Trimmwinkel; doch für mich war es spannend das Ganze in Finnland zu erleben. Da ich bisher nur meinen Ausbildungsbetrieb zum Vergleich hatte, kann ich nicht sagen, was die Finnen wirklich anders machen. Das einzige was mir auffiel, war die Gestaltung der Modellgüsse und der Ablauf einer Kunststoffreparatur. Die Modellgüsse bekamen ein ausgeprägtes Gegenlager hinter den Zähnen, was ich so noch nicht gesehen habe.

Die Kunststoffreparaturen wurden statt in einem Fixator bei Unterfütterungen oder mit Klebwachs bei Bruchreparaturen mit Kunststoff fixiert. Zunächst wurden Retentionen sowohl in Modell als auch Prothese gefräst, um anschließen diese Stellen mit Kunststoff aufzufüllen. Diese Stege dienten als Führungshilfe. Alle fertigen Prothesen wurden in Wasserbeuteln zurück in die Praxis gegeben.

Ein großer Vertrauensbeweis wurde mir in der zweiten Woche zu Teil. Robert und Sara flogen für eine Woche nach Deutschland zur IDS. In dieser Zeit erledigte ich die nah gelegenen Botengänge allein, goss Modelle aus und fertige Implantatlöffel an. Dafür bekam ich eine E-Mail von Robert, der seine Aufträge per Telefon in Deutschland aufnahm. Auf den Auftragszetteln konnte ich bereits die Worte „Implantatti“ und „Lusikka“ (=Löffel) selbst entziffern.

Die Arbeitstage vergingen schnell. Gegen 16 Uhr durfte ich meistens nach Hause gehen und konnte somit vieles von Finnland entdecken. Der März ist wahrscheinlich der schönste, mit Schnee bedeckte Monat in Rovaniemi. Die Sonnenstunden werden länger, das Wetter ist meist klar und der Fluss noch zugefroren, sodass man Familien beim Eis-Fischen sehen kann, sich auf ein Snowmobil schwingt und mit 115km/h über die Schneedecke rast oder sich einen Saunagang nach dem „Schwimmen“ im Eisloch gönnt. Außerdem besuchte ich das Museum, die Huskyfarm, das Weihnachtsmanndorf, übertrat dort die Polarkreislinie und unterhielt mich mit dem Weihnachtsmann auf Deutsch.

Im Restaurant und Zuhause bei der Familie meiner finnischen Mitbewohnerin Viivi, die zu einer echten Freundin wurde, lernte ich traditionelles finnisches Essen kennen und verglich Rentier-, Hirsch- und Bärenfleisch. Wir gingen einen Tag Skifahren am nächstgelegenen Berg und beendeten viele Tage in der hauseigenen Sauna.

Ein Wochenendausflug nach Oulu, untergebracht im wohl schönsten skandinavisch eingerichtetem Hotel veranlasste sogar eine Raumumgestaltung meines Wohnzimmers nach meiner Rückkehr. Den Kontakt nach Berlin konnte ich problemlos durch eine Prepaid-Karte mit unbegrenztem Datenvolumen aufrechterhalten und Freunde und Verwandte durch eine Art Video-Blogg überall hin mitnehmen.

Während der vier Wochen in Finnland, hatte ich drei Mal das Glück Polarlichter beobachten zu können, zwei Mal vom Balkon aus, etwas schwächer und einmal sind wir kilometerweit aus der Stadt in ein zugeschneites Moorgebiet gefahren, um mit einem professionellen Fotografen „Aurora borialis“ (=Nordpolarlichter) im Tiefschnee zu jagen. Er hatte Schneeschuhe an, wir mussten ab und zu aus einem oberschenkeltiefen Loch klettern; doch der Ausblick hatte sich gelohnt.


In dieser kurzen Zeit habe ich unglaublich viele Erfahrungen und Eindrücke sammeln dürfen, sowohl kulturell als auch beruflich. Ich empfehle JEDEM Auszubildenden diese Möglichkeit zu nutzen. Es ist während und sogar bis maximal ein Jahr nach abgeschlossener Lehre möglich, auch mehrmals.


Elisa Morro

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